Österreich: Der österreichische Oberste Gerichtshof, Due Process und COVID-19: Durchführung von virtuellen Schiedsgerichtsverhandlungen über Parteieinwände
Autor: Scharon Schmidt
In einer richtungsweisenden Entscheidung, die am 23.07.2020 gefällt wurde,1 der österreichische Oberste Gerichtshof (Oberster Gerichtshof, OGH) befasste sich mit der Zulässigkeit der Durchführung von Schiedsverhandlungen über elektronische Mittel der Videokonferenz trotz der Einwände der Parteien. Der Gerichtshof entschied, dass im Rahmen von Ablehnungsverfahren Fernverhandlungen in Schiedsverfahren zulässig sind, sofern sie nicht gegen Grundsätze eines ordnungsgemäßen Verfahrens verstoßen, die andernfalls zu einer rechtmäßigen Anfechtung des Schiedsgerichts führen würden.
Der Fall ist aus einer Reihe von Gründen bemerkenswert. Erstens stellt er die erste Entscheidung eines nationalen Obersten Gerichtshofs dar, der die Zulässigkeit von Videokonferenzverhandlungen aus der Ferne bei fehlender Zustimmung einer Partei untersucht. Darüber hinaus bietet sie eine praktische Anleitung zu Verfahrensfragen und befasst sich mit Bedenken hinsichtlich der effektiven Verhinderung von Zeugenbeeinflussung während der Fernaufnahme von Beweisen.
Fakten
Der vorliegende Fall betrifft Einsprüche der Beklagten in einem Schiedsverfahren mit Sitz in Wien, das vom Vienna International Arbitral Centre (VIAC) verwaltet wird. Nach der erfolglosen Anfechtung des Schiedsgerichts durch die Beklagten wegen seiner Entscheidung, eine Beweisverhandlung mittels Videokonferenz durchzuführen, wurde der Fall vor den OGH gebracht.
Der Anspruch ergibt sich aus Diskussionen während einer Case Management Conference im März, in der die Parteien unterschiedliche Standpunkte zur Frage, ob eine Anhörung abgehalten werden soll, einnahmen2 aus der Ferne angesichts der daraus resultierenden Mobilitätseinschränkungen angesichts des COVID-19-Ausbruchs. Am 08.04.2020 entschied das Gericht, dass die Anhörungen per Videokonferenz durchgeführt werden und wie geplant um 15 Uhr mitteleuropäischer Standardzeit beginnen werden.
Die Beklagten fochten diese Entscheidung aufgrund eines Verfahrensfehlers an und behaupteten, das Verhalten des Gerichts habe zu einer Voreingenommenheit geführt, die eine unfaire und ungleiche Behandlung zur Folge hatte.
Der OGH wies das Vorbringen der Beklagten zurück und stellte fest, dass das behauptete Fehlverhalten schwerwiegende oder dauerhafte (Un-)Vorteile für die Partei darstellen muss, damit die Klage erfolgreich sein kann. Der OGH betonte weiters, dass das österreichische Schiedsverfahrensrecht die Durchführung von Verhandlungen aus der Ferne nicht generell verbietet und bestätigte, dass den Schiedsgerichten ein weiter Ermessensspielraum hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung und Organisation solcher Verfahren eingeräumt wird.
Vorbringen der Beklagten
Die Beklagten machten geltend, dass die Entscheidung des Gerichts bezüglich der Videokonferenzanhörung eine Verletzung grundlegender Verfahrensprinzipien darstellte, nämlich den Zugang zu einem fairen Verfahren und das Recht auf Gehör zu erhalten. Im Einzelnen wurde argumentiert, dass:
- Die Beklagten wurden nicht ausreichend über den Anhörungstermin informiert, da die Entscheidung gegen die Vertagung drei Tage vorher erging und somit nicht genügend Zeit für eine angemessene Vorbereitung blieb;
- Die Parteien wurden nicht gleich behandelt, da der Anwalt der Beklagten und einer der Zeugen in Los Angeles (CA) ansässig waren, wodurch der Beginn der Anhörung auf 6 Uhr Pacific Standard Time (im Vergleich zu 15 Uhr Wiener Ortszeit) gelegt wurde.
- Ein faires Verfahren konnte nicht gewährleistet werden, da keine angemessenen Maßnahmen zur Umsetzung ergriffen wurden:
- Unterminierung von Zeugenmanipulationen (Verwendung von WebEx-Software, die den unbemerkten Empfang von Nachrichten über die Chat-Funktion ermöglicht);
- Überprüfen Sie, zu welchen Dokumenten die Zeugen Zugang haben würden;
- Stellen Sie sicher, dass keine anderen Personen im Zeugenraum anwesend sind.
Die OGH-Entscheidung
In seiner Entscheidung ging der OGH auf drei verschiedene Sachverhalte ein:
- Standard für die Ablehnung von Schiedsrichtern;
- Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Gerichts, die Anhörung nicht zu verschieben;
- Unfaire und ungleiche Behandlung bezüglich:
- Unterschiedliche Zeitzonen;
- Zeugenbeeinflussung.
Zur ersten Frage führte der OGH aus, dass eine Ablehnung von Schiedsrichtern nur dann Erfolg hat, wenn die vorliegenden Umstände berechtigte Zweifel an ihrer Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit begründen. Dieser Maßstab gelte auch für ein Verhalten, das hinter den von den Parteien im Voraus einvernehmlich festgelegten Qualifikationen zurückbleibt. Verfahrensfehler, Unzulänglichkeiten oder Irrtümer der Schiedsrichter würden somit nicht als unzulässig oder anfechtbar gelten. Stattdessen müssen die Parteien die hohe Hürde nehmen, nachzuweisen, dass das betreffende Verhalten zu einer Benachteiligung oder Bevorzugung einer Partei geführt hat.
Bezüglich der Entscheidung des Gerichts, die Verhandlung per Videokonferenz durchzuführen, hob der OGH Folgendes hervor:
- Die Videokonferenztechnologie wurde sowohl vor staatlichen Gerichten als auch in Schiedsverfahren weithin eingesetzt. Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie wurde sie als effizientes Instrument zur Aufrechterhaltung des Gerichtsbetriebs unabhängig von nationalen Sicherheitsmaßnahmen und Reisebeschränkungen befürwortet.
- Anträge auf Vertagung bedürfen der Genehmigung durch das Gericht und dürfen nicht gewährt werden. Die Parteien müssen mit der Möglichkeit rechnen, dass ihr Antrag abgelehnt wird. In diesem Fall wurden die Beklagten angemessen über die Anhörung informiert, nämlich mit der Ankündigung des Anhörungstermins (15.01.2020) und nicht mit dem Datum, an dem das Gericht seine Entscheidung, die Anhörung nicht zu verschieben, mitgeteilt hat (08.04.2020).
- Artikel 6 EMRK sei durch den Einsatz der Videokonferenztechnologie nicht verletzt worden. Angesichts der COVID-19-Pandemie und des drohenden Stillstands des Gerichtsbetriebs hat sie sich als wirksames Mittel erwiesen, um sicherzustellen, dass der Zugang zur Justiz gewährt wird und das Recht auf Anhörung gewährleistet werden kann.
In Bezug auf die dritte Rüge räumte der OGH ein, dass die Anhörung aufgrund der unterschiedlichen Zeitzonen für einige Teilnehmer außerhalb der regulären Geschäftszeiten liegen würde. Da die Schiedsvereinbarung jedoch von der VIAC verwaltet werden sollte, nahmen die Parteien die Nachteile, die sich aus der geografischen Entfernung ergeben könnten, stillschweigend in Kauf. Schließlich fügte der OGH hinzu, dass der frühe Beginn des virtuellen Verfahrens nicht die Belastung aufwiegen könne, die sich aus einer internationalen Reise ergeben würde, wie sie für eine persönliche Verhandlung erforderlich wäre.
Als Antwort auf die Bedenken der Beklagten hinsichtlich des Missbrauchs von Videokonferenzen bei der Zeugenvernehmung stellte der OGH fest, dass das Risiko der Zeugenbeeinflussung auch bei persönlichen Anhörungen gegeben ist. Im Gegensatz zu den vorgebrachten Bedenken schlug der OGH Wege vor, wie der Einsatz von Technologie Schutzmechanismen bieten kann, die über jene hinausgehen, die bei traditionellen physischen Verfahren verfügbar sind. Diese umfassen:
- Aufzeichnung der bei der Zeugenvernehmung gemachten Aussagen;
- Die Möglichkeit, die befragte Person von vorne genau zu beobachten;
- Die Möglichkeit, Zeugen aufzufordern, direkt in die Kamera zu schauen und die Hände während der gesamten Untersuchung auf dem Bildschirm zu sehen (was das Risiko des Mitlesens von Nachrichten über die Chat-Funktion untergräbt);
- Der Raum, in dem der Zeuge sitzt, wird gezeigt, um sicherzustellen, dass er nicht von Dritten beeinflusst wird.
Kommentar
Die OGH-Entscheidung stellt einen Präzedenzfall dar, der sich mit der Frage befasst, ob und wie ferngesteuerte Schiedsgerichtsverhandlungen im Rahmen von Anfechtungsverfahren durchgeführt werden sollen. Während sie in Zeiten außergewöhnlicher Umstände, wie der COVID-19-Pandemie, von besonderer Bedeutung ist, werden sich die Argumentation und die praktischen Hinweise des Gerichtshofs wahrscheinlich als nützlicher Bezugspunkt erweisen, wie sichergestellt werden kann, dass die Grundsätze des fairen Verfahrens eingehalten werden und ein effektiver fortgesetzter Zugang zur Justiz in Zukunft gewährleistet werden kann.
Fußnoten
1 Docket 18 ONc 3/20s.
2 Der ursprüngliche Verhandlungstermin war der 08.04.2020, er wurde auf den 15.04.2020 verschoben.
Der Inhalt dieses Artikels soll einen allgemeinen Leitfaden zu diesem Thema bieten. Für Ihre spezifischen Umstände sollten Sie fachkundigen Rat einholen.