Österreich: Das IBA-Toolkit 2021 und die Zukunft eines transnationalen Ansatzes zur Schiedsfähigkeit von Insolvenzverfahren
Autor: Scharon Schmidt
Anfang dieses Jahres hat eine Untergruppe des IBA Committee on Arbitration ihr Toolkit on Insolvency and Arbitration (das "Toolkit") veröffentlicht.1 Obwohl das Projekt bereits vor dem Ausbruch des Coronavirus begonnen wurde, ist seine Veröffentlichung angesichts der schweren wirtschaftlichen Störungen, die durch die aktuelle Pandemie verursacht werden, und der erheblichen Zunahme von Unternehmensinsolvenzen, die in den meisten Branchen erwartet werden, besonders aktuell und von großer Bedeutung.
Das Toolkit wurde entwickelt, um die Überschneidung von Insolvenz und Schiedsgerichtsbarkeit zu adressieren. Es berücksichtigt die Spannungen, die sich aus den konkurrierenden öffentlichen Interessen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und des nationalen Insolvenzrechts ergeben. Insbesondere soll es Parteien, Schiedsrichtern und Anwälten eine Hilfestellung bei der Beantwortung von Fragen geben, die sich unter anderem auf folgende Punkte beziehen: 1) ob das Schiedsgericht die erforderliche Zuständigkeit besitzt, um das Schiedsverfahren fortzusetzen; 2) ob der Schuldner weiterhin rechtsfähig ist und 3) ob der erlassene Schiedsspruch vollstreckbar sein wird.
Im Folgenden wird versucht, das Spannungsverhältnis zwischen den konkurrierenden öffentlichen Interessen der Insolvenz und der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit sowie die nachteiligen Auswirkungen, die unterschiedliche nationale Ansätze im Umgang mit diesen widersprüchlichen Schnittmengen haben, zu thematisieren. Zu diesem Zweck stützt sich der Artikel auf den Hintergrund und die Struktur des Toolkits sowie auf die Ziele, die dem Projekt zugrunde lagen.
Schiedsgerichtsbarkeit versus Insolvenz
Die divergierende Natur und Ziele der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und des Insolvenzrechts sind nicht leicht miteinander zu vereinbaren und ihre Beziehung kann zu erheblichen politischen Interessenkonflikten führen. Die inhärente Spannung wurde oft als eine zwischen nahezu polaren Extremen beschrieben, wobei "die Insolvenzpolitik einen unaufhaltsamen Sog in Richtung Zentralisierung ausübt, während die Schiedspolitik einen dezentralen Ansatz befürwortet."2
Allgemein ausgedrückt, stellt die Handelsschiedsgerichtsbarkeit einen "zustimmungsbasierten Mechanismus zur Beilegung von Ansprüchen in einem privaten Forum außerhalb der Gerichte dar, der häufig zu einem international vollstreckbaren Schiedsspruch führt."3 Das Wesen des Verfahrens ergibt sich aus der Parteiautonomie, der Vertraulichkeit und dem Ziel, das gegenseitige Einverständnis der Parteien zur Schlichtung zu wahren und anzuerkennen.
Ein Insolvenzverfahren hingegen beschreibt ein "kollektives, gerichtliches Verfahren zur Lösung der Interessen einer Vielzahl von Parteien und verbietet[e] im Allgemeinen die Durchführung individueller Vollstreckungsmaßnahmen gegen die insolvente Partei, um das kollektive Interesse zu schützen."4 Im Gegensatz zu einem Schiedsgerichtsverfahren zielt es darauf ab, "den Wert des Vermögens der insolventen Partei zu maximieren und diesen angemessen zwischen den Drittgläubigern zu verteilen, und zwar durch ein strukturiertes, zentralisiertes und transparentes Verfahren."5
In Anbetracht dieser unterschiedlichen politischen Ziele haben die nationalen Rechtsordnungen unterschiedliche Ansätze bei der Regelung der Auswirkungen von Insolvenzverfahren auf geplante oder anhängige Schiedsverfahren gewählt. Da die Auswirkungen der Durchführung solcher parallelen Verfahren weitgehend vom Recht des Sitzes und des Vertrages sowie von den auf die Insolvenz anwendbaren Gesetzen abhängen, werfen die nebeneinander bestehenden Antworten auf nationaler Ebene und die fehlende Harmonisierung zwischen ihnen eine Reihe von kollisionsrechtlichen Fragen auf, nicht zuletzt in Bezug auf:
- Die Vollstreckung einer einstweiligen Verfügung;
- Die Rechtsfähigkeit zur Schiedsgerichtsbarkeit;
- Die Befugnis der Staaten, innerstaatliche gegenüber außerstaatlichen Schiedsverfahren zu regeln.
Ziele des IBA-Toolkits
Im gegenwärtigen Klima globaler wirtschaftlicher Unsicherheit und Störung wird der Anstieg der Unternehmensinsolvenzen wahrscheinlich die Zahlen erreichen, die während der Finanzkrise 2009 zu beobachten waren. Da sich viele Parteien in Streitigkeiten mit insolventen oder bald insolventen Unternehmen befinden oder Ansprüche gegen diese in Erwägung ziehen, entscheiden sich viele Unternehmen vernünftigerweise dafür, Streitigkeiten über alternative Streitbeilegungsmechanismen beizulegen.
Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit hat sich zunehmend als Hauptinstrument zur Beilegung komplexer, grenzüberschreitender Handelsstreitigkeiten etabliert. Das Fehlen eines umfassenden, kohärenten und klar definierten Rahmens für die Schiedsfähigkeit von Insolvenzverfahren in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit führt jedoch zu Unsicherheit und mangelnder Berechenbarkeit. Da Fälle von Fall zu Fall behandelt werden, was zu uneinheitlichen und sogar widersprüchlichen Ergebnissen führt, ist der Bedarf an Lösungsmöglichkeiten in diesem Bereich immer dringender geworden. Das Toolkit bietet daher einen wertvollen Bezugspunkt für die Identifizierung von Rechtsfragen, die sich aus parallelen Insolvenzverfahren ergeben, die gegen Parteien von nationalen oder internationalen Schiedsverfahren geführt werden. In Anbetracht der sozioökonomischen Auswirkungen der weltweiten COVID-19-Pandemie könnte die Bandbreite möglicher Antworten dazu beitragen, zukünftige Risiken, die sich aus der Insolvenz einer Gegenpartei ergeben, zu mindern.
Aufbau
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Nationale Berichte
Da die nationale Gerichtsbarkeit, in der die Insolvenz durchgeführt wird, wahrscheinlich auch der Ort ist, an dem die Vollstreckung angestrebt wird, bilden die nationalen Berichte einen wesentlichen Eckpfeiler des Toolkits.
Sie wurden von führenden Experten aus 19 Ländern verfasst und basieren auf einer Umfrage mit 35 Fragen, um mehr Klarheit darüber zu schaffen, wie die gerichtsspezifischen Gesetze Fragen zur Überschneidung von Insolvenz und Schiedsgerichtsbarkeit in einer Vielzahl von Fällen behandeln.
Abschnitt I befasst sich mit den Auswirkungen der nationalen Insolvenz auf die inländische oder ausländische Schiedsgerichtsbarkeit. Er ist in drei Teile gegliedert.
Teil I befasst sich mit den Auswirkungen, die ein Insolvenzverfahren auf die Fähigkeit haben kann, ein Schiedsverfahren einzuleiten oder fortzusetzen. Dabei geht es u.a. um Fragen der automatischen Aussetzung, um Rechtsgebiete, die von der Schiedsgerichtsbarkeit ausgeschlossen sind, um die Unterscheidung zwischen Schiedsverfahren, die von Insolvenzen betroffen sind, die auf die Unternehmensliquidation und die finanzielle Sanierung abzielen, sowie um die Unterscheidung zwischen Schiedsverfahren, die zum Zeitpunkt der Eröffnung anhängig sind, und solchen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingeleitet werden.
Teil II befasst sich mit prozessualen und administrativen Aspekten, die bei gleichzeitiger Durchführung von Schiedsgerichts- und Insolvenzverfahren auftreten können. Es wird auf die Auswirkungen hingewiesen, die die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf die Gültigkeit einstweiliger Maßnahmen haben kann; die Fähigkeit insolventer Parteien, Streitigkeiten beizulegen sowie die Fähigkeit von Schuldnern, in eigenem Namen zu schlichten.
Teil III befasst sich mit der Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen. Es sollen Fragen beantwortet werden, welchen Status verfolgte Forderungen haben, wenn der Schiedsspruch noch nicht ergangen oder vollstreckbar geworden ist; ob das in einem Schiedsspruch enthaltene Guthaben einen gültigen Titel für die Zwecke des Insolvenzverfahrens darstellt sowie welche zusätzlichen Anforderungen für die Anerkennung ausländischer Schiedssprüche gelten können.
Das zweite Szenario, in dem sich Schiedsgerichtsbarkeit und Insolvenz überschneiden können, wird in Abschnitt II behandelt und betrifft Insolvenzverfahren, die in einer anderen als der untersuchten Jurisdiktion eröffnet wurden, und die damit einhergehenden Auswirkungen auf Schiedsverfahren, die in dieser Jurisdiktion anhängig sind. Die erörterten Fragen drehen sich u.a. um die Notwendigkeit der formellen Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren, die Anwendbarkeit des UNCITRAL Model Law on Cross-Border Insolvency (1997)6 und die Anerkennung von Auslandsinsolvenzen nach der EU-Insolvenzverordnung (2015).7
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Erläuternder Bericht
Der Erläuternde Bericht und der Nationale Bericht folgen der gleichen Gesamtstruktur und sollten zusammen verwendet werden. Im Gegensatz zu letzterem versucht der Erläuternde Bericht jedoch, den Kontext hinter jeder Umfragefrage zu liefern und die vorherrschenden und sekundären Ansätze aus den nationalen Berichten zusammenzufassen.
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Checkliste
Die Checkliste bildet den letzten Teil des Toolkits. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit aller möglichen Nuancen, die sich nach dem auf das Schiedsverfahren anwendbaren Recht ergeben können, und soll auch nicht jede Frage behandeln, die den Schiedsrichtern zur Lösung vorgelegt werden kann. Vielmehr stellt es einen praktischen Rahmen dar, der es Schiedsrichtern, Parteien und Anwälten ermöglicht, die potenziellen Auswirkungen einer Insolvenz auf das Verfahren so früh wie möglich zu erkennen und anzugehen, um potenziell irreversible Folgen zu vermeiden.
Angesichts der globalen Rezession sowie der zu erwartenden Zunahme von grenzüberschreitenden Insolvenzen und Streitigkeiten wird die Diskrepanz zwischen konkurrierenden öffentlichen Interessen zwischen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit auf der einen Seite und dem nationalen Insolvenzrecht auf der anderen Seite wahrscheinlich immer kritischer werden. In den letzten Jahren wurden wichtige Schritte zur Entwicklung von Regelungen unternommen, die ein einheitlicheres Vorgehen gewährleisten sollen. Die EU-Insolvenzverordnung sowie das UNCITRAL Model Law on Cross Border Insolvency und der Legislative Guide on Insolvency Law sind Beispiele, die das Bestreben nach mehr länderübergreifender Regulierung widerspiegeln. Die Entwicklung eines solchen Gesetzesleitfadens ist zweifellos mit einer Reihe von Herausforderungen verbunden. Dennoch können die entsprechenden Vorteile eine größere Sicherheit und Vorhersehbarkeit für die internationale Geschäftswelt, reduzierte Transaktionskosten, erhöhte Transparenz und größeres Vertrauen in das internationale Rechtssystem sein.
Das neue Toolkit bietet zwar keine allgemeingültigen Grundsätze, die in der Lage sind, das breite Spektrum an Szenarien, in denen sich Schiedsgerichtsbarkeit und Insolvenz überschneiden können, zu adressieren, und erhebt auch nicht den Anspruch, dies zu tun. Es schlägt jedoch Lösungen vor, die den Weg für die Entwicklung eines einheitlichen Ansatzes bei der Bestimmung der Schiedsfähigkeit von Insolvenzstreitigkeiten ebnen könnten.
Fußnoten
1 Verfügbar über: https://www.ibanet.org/LPD/Dispute_Resolution_Section/Arbitration/toolkit-arbitration-insolvency.aspx.
2 Rogers, J.; Stathard, P. [2020] "Insolvency and International Arbitration" in Bericht zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Ausgabe 14, S. 10. Verfügbar über: https://www.nortonrosefulbright.com/-/media/files/nrf/nrfweb/knowledge-pdfs/international-arbitration-report-issue-14.pdf?la=en&revision=6edf090e-2dae-4845-a812-c912f12016d0.
3 IBA Insolvency and Arbitration Toolkit, supra 1, p1.
4 IBA Insolvency and Arbitration Toolkit, supra 1, p1.
5 Rogers, J.; Stathard, P., supra 2, p10.
6 Erhältlich über: https://uncitral.un.org/en/texts/insolvency/modellaw/cross-border_insolvency.
7 Available via: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/en/TXT/?uri=CELEX%3A32015R0848.
Der Inhalt dieses Artikels soll einen allgemeinen Leitfaden zu diesem Thema bieten. Für Ihre spezifischen Umstände sollten Sie fachkundigen Rat einholen.